Corona - ein ehrlicher Erfahrungsbericht

Nicht schon wieder

Bevor ihr jetzt sagt “Bitte nicht noch irgendein Text über Corona, ich kann es nicht mehr hören”, möchte ich euch beruhigen: ich lasse politische Statements weg, gehe auf keine Fakten oder vermeintliche Verschwörungstheorien ein, sondern beleuchte hier die persönliche Wahrnehmung, die Höhen und Tiefen, die diese Person durchgemacht hat. Okay, durchschaut, diese besagte Person bin ich. Vielleicht erkennt ihr euch aber wieder? Für mich war diese Zeit hart, ist sie zum Teil trotz vieler Lockerungen noch. Ich spreche da sicherlich nicht nur für mich.

Ich ticke so: In jeder Situation versuche ich Chancen zu sehen, mich weiterzuentwickeln. Im Nachhinein analysiere ich, was auch mal überhand nehmen kann. Ich schreibe Listen, streiche durch, markiere, es entstehen wahre Kunstwerke. Doch in jedem Fall komme ich klarer, stärker und energiegeladener aus schwierigen Situationen hervor, so ausweglos sie auch schienen.

Will ich mich profilieren? Vor allem möchte ich Menschen zu genau dieser Denkweise animieren. Ob ihr etwas für euch daraus mitnehmt, ist euch überlassen: ein Hoch auf die Entscheidungsfreiheit des Menschen. Ich bin also gezwungen, Höhen und Tiefen meiner eigenen Persönlichkeit zu durchlaufen und erkenne vor allen Dingen eines: wie ich in Zukunft nicht sein möchte. Manchmal muss man sich das auch noch einmal vor Augen führen, oder? Auch habe ich noch einmal deutlich zu sehen bekommen: Natürlich bin ich so nicht! Trotzdem gut zu wissen, dass ich da auch niemals hin will! Also schreibt euch auf, wie ihr nicht seid, um euch dies in schwierigen Zeiten in Erinnerung zu rufen.

So oder so: ein Plädoyer für den zwischenmenschlichen Austausch, der in dieser Zeit viel zu kurz gekommen ist!

1) Ich bin keine couchpotatoe, ich bin energiegeladen

Ich treffe mich noch unbeschwert mit meinen Freunden zum Spieleabend. Wir lachen, trinken Wein, sind kreativ. Als Kollektiv. Am nächsten Tag leicht verkatert aufstehen, eine Lama-Wanderung machen, sich abends zusammen Kater-Food reinziehen. Der Mix aus Geselligkeit, Zweisamkeit und Für-mich-sein bestimmt meinen Alltag, aus dem ich meine Kraft ziehe. Diese Kraft nutze ich für mein Studium, für Hausarbeiten, Klausuren, Gruppenarbeiten und vieles mehr. Nie ist mir so klar geworden, dass meine Inspiration weder aus dem einen, noch aus dem anderen kommt. Sie kommt aus dem Zusammenspiel aller Faktoren.

Dann der Schock: ein Lockdown. Mich hätte es schlimmer treffen können, zu dem Zeitpunkt wohne ich nicht nur in einer 7er WG, ich habe auch einen Partner, den ich sehen kann. Mit dem ich mich verschanzen könnte, sollte es noch härter kommen. Nicht vorstellbar, wie es ohne diese Faktoren gewesen wäre.

Trotzdem macht diese Situation etwas mit mir. Meine Freunde kann ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr sehen. In meiner WG wird so aufeinander hockend klarer, wie gegensätzlich man zu einigen Mitbewohnern ist. Das Problem? Man kommt aus dieser Situation nicht raus. Man muss ausharren. Streit mit meinem Freund oder dicke Luft in der WG? Ich kann mich nicht mit meinen engsten Freunden treffen und der Situation entfliehen. Klar kann ich Videoanrufe starten, besser als nichts. Doch den persönlichen Kontakt ersetzt es definitiv nicht. Meine Inspirations- und Kraftquelle ist mit einem Mal zu Nichte gemacht. Der gesunde Mix ist weg. Und das versetzt mich in Schockstarre. Meine Inspiration wie auch meine Energie gehen in den Keller, wortwörtlich! Ich jogge und mir geht nach drei Kilometern die Puste aus. Zu Hochzeiten schaffte ich sechs bis sieben Kilometer.

Im Nachhinein weiß ich, dass meine gemixte Energiequelle mich nicht nur geistig, sondern auch körperlich aktiv sein ließ. Doch zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, was los war, was mich zusätzlich frustriert hat. Hätte ich das früher gewusst, wer weiß, vielleicht hätte ich mit meinem Wissen gelassener agieren können. Ich bin doch ein aktiver Mensch, ich mag die Endorphine, die Sport ausschüttet. Ich werde unzufrieden, wenn ich länger keinen Sport mache. Ihr auch? Macht euch das bewusst! Homeworkout oder Joggen gehen geht beides auch in Corona-Zeiten.

2) Ich bin kein Gamer, ich mag die realität

In diesem Strudel aus fehlender Inspirationsquelle und angestauter Unzufriedenheit flüchte ich in eine alternative Welt. Die Welt der Sims. Sonderangebote erleichtern den Einstieg, innerhalb ein paar Minuten ist das Spiel runtergeladen und ich erstelle ein Haus mit mir und meinen Freunden. Aus “mal eben ein zwei Stunden abschalten und spielen” wird ein Wochenende durchzocken. Montag morgen erwache ich wie aus Trance. Gefühlt habe ich drei oder vier Stunden gespielt. Die Erkenntnis reißt mich schlagartig zurück in die Realität. Was habe ich getan? Ganz einfach: Ich bin ein Wochenende dieser Corona-Realität entflohen und entgegen aller Selbstvorwürfe: ich habe niemandem geschadet, schon gar nicht mir selbst! Denn vielleicht brauchte ich diese kleine “Reise”. Als Inspiration und für die Erkenntnis: Dauerhaft zocken war nie meins und wird auch nie meins sein. Keine Sorge. Alles im Griff soweit.

3) Ich bin familienorientierter als ich dachte

Klar habe ich ein gutes Verhältnis zu meiner kleinen aber feinen Familie. Nur durch den Punkt, dass diese weit weg wohnt, hab es nie als wichtig erachtet, mich jedes oder jedes zweite Wochenende dort blicken zu lassen. Über die Kommilitonen, die jedes Wochenende zu ihrer Familie fahren, habe ich bisher nur geschmunzelt, bin ich doch unabhängiger, liberaler und selbstständiger.

Ostern ohne meine Familie zu verbringen? Klingt nicht tragisch und ist doch schmerzhafter als gedacht. Ich vermisse sie so sehr, wie zu dem Zeitpunkt, als ich für das Studium aus meinem Elternhaus ausgezogen bin. Verdammt, ich bin doch nicht so lässig, wie gedacht, ich will bei meiner Familie sein, bei den Menschen, die mich kennen und so lieben wie ich bin und bei denen ich ganz ich selbst sein kann. Die Menschen, die ich seit meiner Geburt kenne und die mich gerade erkennen lassen: Familie ist mir viel viel wichtiger als gedacht! Und das ist doch ein schöner Gedanke, ich weiß jetzt, dass es mir im Gegenzug auch wichtig ist, irgendwann einmal eine kleine Familie zu gründen und anzukommen. Nicht zwanghaft, aber ich hab mich immer als den kleinen Weltenbummler und -erkunder gesehen, der alle Erfahrungen machen muss, die es zu machen gibt. Manchmal ist es aber schön, seine Ziele noch einmal zu überarbeiten und zwar nicht zwanghaft erreichen zu wollen, jedoch klar in ferner Zukunft vor sich zu sehen.

4) Ich habe nicht nur eine energiequelle, ich habe viele

Wie schon erwähnt, war es hart für mich meine Familie und Freunde nicht zu sehen. Mir haben nicht nur die Gespräche gefehlt, mir haben die Umarmungen gefehlt, die Events, abends in eine Bar zu gehen. Neue Menschen kennen zu lernen. Mir wurde wie sonst nie klar, was ein unglaubliches Geschenk es ist, ungezwungen neue Leute kennen lernen zu können und neue, interessante Gespräche zu führen. Offen für die verschiedensten Menschen und Themen zu sein und als emphatischer Mensch die Gefühle um einen rum zu spüren. Ich kann auch für mich selbst sein, ich brauche das sogar nach einer anstrengenden Woche. Aber nach einer Woche, in der man in seinem Zimmer an Studienthemen sitzt, brauche ich Menschen um mich herum. Hier kommt die Erkenntnis von oben ins Spiel: Ich bin der Mix-Typ. Ich ziehe meine Energie nicht nur aus Zeit für mich, oder nur aus dem “unter-Menschen-Sein”. Ich kann aus vielem Energie ziehen, also ziehe ich weitere Quellen in mein Leben: singen, tanzen, schreiben. Das kann mir alles sehr viel mehr Kraft geben als gedacht, wenn ich es zulasse.

5) Ich mache mir keinen Druck, ich bin gelassen

Frustriert davon, dass ich nur drei Kilometer gejoggt bin, kam ich nach Hause, mit meiner Laune am Tiefpunkt. Frustriert davon, dass ich nicht effektiver für meine Theiss recherchiere und frustriert davon, dass ich mein Wochenende mit einem Videospiel Verbacht habe, anstatt etwas für meine Zukunft zutun, lag ich morgens im Bett, brauchte ewig um aufzustehen. Zukunft! Das Schlagwort. Das Gedankenkarussel begann. In diesen Zeiten wird es schwierig einen Job zu finden, Freunde von Freunden erzählen mir davon, wegen Stellenabbau gekündigt worden zu sein. Mein Gehirn hat ein Eigenleben entwickelt und hüpft wie ein Flummi auf und ab. Ein weiteres Gefühl steigt in mir hervor: Angst. Angst, dass ich keinen Job finde und arbeitslos ende, dass ich meine Familie so schnell nicht wiedersehe, Angst, dass ich meine Thesis ohne meine Energiequellen nicht schaffe, ohne Inspiration keinen Einstieg ins Thema finde. Angst, dass die Situation meine Beziehung kaputt macht, Angst, dass die Situation meine Freundschaften sprengt. Ich bin verzweifelt, weil ich Angst habe. Ein Teufelskreis. Die Angst erscheint mir unendlich groß, unbesiegbar.

Der einzige Tipp den ich euch im Nachhinein geben kann: Atmen. Und die Erkenntnis, dass keine Situation euch irgendwas wegnehmen kann sondern nur ihr selbst, wenn ihr euch von der Angst beherrschen lasst.

6) Ich bin nicht egoistisch, ich bin für andere da

Inmitten dieser ganzen Angst verliert man sich ganz schnell in seinem eigenen kleinen Tornado. Die Welt um einen herum tobt und man fühlt sich alleine, abgeschottet und ist auf seine eigene Angst fokussiert. Wenn der Tornado sich jetzt noch bewegt, macht er die Dinge um einen herum kaputt, verletzt Menschen, stößt sie von sich weg. Das ist meiner Meinung nach in so einer Situation menschlich, nur muss man irgendwann wieder aus dem Tornado heraustreten, damit man erkennen kann: Mir geht es nicht alleine so. Die anderen haben auch Angst, die machen sich auch Gedanken. Vielleicht sollte ich mal wieder denen zuhören und nicht nur mir selbst. Empathie und Mitgefühl sind doch meine Stärken, ich sollte sie wieder nutzen. Gerade die Menschen, die dir nahestehen haben es verdient, dass du für sie da bist und Kommunikation mit deinen Lieben lässt die Angst etwas schwinden und alles etwas greifbarer und einfacher erscheinen. Deine Lieben geben dir Kraft, du musst es nur zulassen. Ich habe etwas gebraucht, um das zu erkennen. Im besten Fall kommunizieren sie auch mit dir, dann seid ihr ein unschlagbares Team und euch kann nichts aufhalten, solange ihr zusammenhaltet.

Die Welt dreht sich weiter

Corona hat uns alle nicht nur politisch, sondern auch menschlich vor eine nie dagewesene Herausforderung gestellt. Sicherlich, die Angst hat mich die ein oder anderen Dinge gekostet. Doch sie hat mir gezeigt, das alles, was ich mir wünsche in meiner Hand liegt. Wenn du es schaffst, diese Angst nicht für voll zu nehmen und deine Erwartungen an dich etwas runterschraubst, nachsichtig mit dir bist und dir liebevoll sagst, dass auch du in der Ausnahmesituation Corona mal an die selbst zweifeln durftest und Angst haben durftest, um daraus zu lernen. Dann, aber nur dann trittst du mit neuem Selbstbewusstsein hervor und dir steht die Welt offen.

Neue kreative Projekte ergeben sich, wenn du sie angehen willst.

Die Stellenangebote werden kommen, glaubt mir.

Die Menschen, die dich kennen und lieben, bleiben bei dir und es treten immer wieder neue inspirierende in dein Leben.

Du kannst alles schaffen, kämpfe mal ein wenig.

Corona hat uns alle zu einer Version von uns selbst gemacht, die wir eigentlich gar nicht sind. Daran kann man nichts mehr ändern, so ist es eben passiert. Nun, jetzt wissen wir, wo wir nie hinwollen. Auch eine Erkenntnis.

Es liegt an dir, ob du so bleibst, oder ob du zu deinem alten und gleichzeitig neuen, energielgeladenen, positiven und lebensfrohen Selbst zurück findest.

Es lohnt sich :)

Big wheel keep on turnin', proud Mary keep on burnin', rollin', rollin', rollin' on the river.

- Credence Clearwater Revival, but likely performing the Ike & Tina Turner version

Desiree Blasberg