Rockin' on - no matter what
Eine Hommage, eine Erkenntnis, ein Aufruf.
Long, long time ago, I can still remember how that music used to make me smile
Als Tochter eines Musikers lief in meiner Kindheit immer Old-School-Radio. Die besten Hits der 80er und 90er. Nicht zu vergessen der 60er und 70er. Ich wuchs nicht nur mit Hintergrund-Musik auf, Ich fand eine spezielle Verbindung zu dieser Musik. Sie ließ mich und meine Familie zu Weihnachten nicht verstockt am Tisch sitzen sondern wie wild um den Weihnachtsbaum tanzen.
Sie ließ meine Eltern mit angeschlagener Lautstärke durch die ländliche Prärie heizen (sorry, daher habe ich meinen rasanten Fahrstil, ICH kann dafür nichts…).
Sie ließ mich fühlen, sie ließ mich lachen. Sie ließ mich bilderbuchähnliche Abende mit Gitarre am Lagerfeuer erleben.
Kein Wunder also, dass mir die Musik heute aus dem Radio nicht gefällt. Mir gefällt auch nicht die Hit Rotation auf Spotify, und das obwohl mein Musikgeschmack durchaus breit gefächert ist, über Hip Hop, RnB, Latin, Reggaeton, Jazz, Gothic Rock, es ist vieles dabei.
Da! Ein neues Lied, ich fühle den Beat, nicht schlecht ja, ich lass mich darauf ein.. hmmm. Gefällt mir. Jup, Not bad.
Diesen Gedankengang habe ich im Alltag bei einem von zehn Fällen.
Nun, jede Generation darf und soll ihren eigenen Musikgeschmack zu entwickeln. Da spricht erst einmal nichts dagegen, oder?
N’oubliez jamais - I heard my father say, every generation has its way
Oder: De gustibus non est disputandum. Über Geschmäcker lässt sich nicht streiten - aber über Inhalte. Darüber, was die Musik vermittelt, was sie aussagt.
Jede Kunst ist ein ein Kommentar zur Welt, der Ausdruck einer Haltung zur Gesellschaft, eine Offenlegung der Gedankengänge des Künstlers. Das gilt auch für die Musik. In den Sechziger sowie in den Achtzigern ebenso wie heute gab und gibt es verschiedene Stile der populären Musik, die zu verschiedenen Subkulturen gehören. Jede von ihnen sucht ihren eigenen Platz in der Gesellschaft.
Doch keiner von ihnen wollte sich anpassen, weder Reggae-Fans die sich in politischer Kritik äußerten, weder die Grufties, die Verweigerung durch Resignation und Rückzug wählten, noch die Punks, die Leistungsverweigerung und Wut zum Ausdruck brachten - unity in diversity: nicht angepasst sein. Sie alle haben etwas vermittelt, sie alle haben es geschafft, uns durch ihre Musik fühlen zu lassen, was sie sagen wollten. Sie haben uns eine Geschichte erzählt.
Just one more year and then you'd be happy. But you're crying, you're crying now.
Baker Street von Gerry Rafferty zeigt uns auf melancholisch kraftvolle Weise die Anonymität in der Großstadt auf, die einem nie das Gefühl gibt zu Hause zu sein. Oder doch? Funfact: Die Saxophon-Einlagen wurden auf der Toilette aufgenommen, da der Klang so gut war.
Even when love has come and gone and our hearts have moved along, I will remember.
Neben Kuschelrock Songs wie I will remember von TOTO mit gesellschaftlicher Note sind da auch die Scorpions, die uns nicht nur auf den Wind of Change aufmerksam machen, sondern uns in Rock you like a hurricane auch richtig aufwirbeln. Da sind die Eagles, die uns in Hotel California in die Köpfe von Suchkranken und mit Country-Rock in Take it easy auf den Highway mitnehmen. Ebenso wie Credence Clearwater Revival.
Wir geben Gas in The Ballroom Blitz von Sweet. Mike Chapman singt hier über einen Mann, der einen Alptraum hat: Seine letzte Aufnahme war leider kein Durchbruch - er ist in einer Disco, vielleicht auf Drogen, und halluziniert. Wir erleben diesen Trip.
Wir erleben Purple Rain auf unserer Haut, dank Prince. Wir hören die Dire Straits, Sting, in Deutschland die Toten Hosen, die Ärzte. Voller Energie, voller Sendungsbewusstsein. Ich könnte noch etliche nennen, das würde jedoch den Rahmen sprengen.
Sie alle erzählten, was sie beschäftigte oder was in der Gesellschaft Thema war.
Something touched me deep inside, the day the music died
Die Popmusik hat sich verändert. Verschiedene Studien unterlegen diese Veränderung. Neben einer über die Jahrzehnte schlichter werdende Harmonik enger werdender Spanne an Klangfarben und Dynamik sowie immer repititiveren Texten (die Musik entwickelt sich wirklich eher zum Schlechteren als zum Besseren) Die Lieder werden elektronischer, entspannter und tanzbarer, auch trauriger und: Der Rock geht verloren.
Rock - das bedeutet Auflehnung. Rock ist wütend, laut und energisch, voller Energie eben.
Es gäbe wahrlich genügend Grund, unserer Gesellschaft ein wütendes "Nein!" entgegenzuschreien.
Es gibt da diese Menschen, die sich feige neun von zehn Brötchen wegnehmen lassen und dann gegen den Hungernden hetzen, der vom letzten einen Krümel braucht. Es gibt so viel Grund für Wut.
Wo ist also diese Wut?
Jedenfalls nicht in der Popmusik von heute, die von häuslicher Harmonie und Bescheidenheit singt.
Lieber Wolke vier als wieder ganz allein.
Muss ja alles schön realistisch bleiben, nicht zu abgehoben.
Und wenn sie tanzt, ist sie woanders.
Als ich in meinem Artikel YOLO von 50% geben geredet habe, meinte ich nicht, sich mit 50% zufrieden geben, sondern damit Energie für die nächsten 200% sammeln.
Wir wollen uns alle selbst behaupten, wir gehen so egoistisch durch diese Gesellschaft, irgendwie doch noch nach oben. Doch wir greifen nicht mehr richtig an. Solidarität mit Schwachen und Verlierern ist uncool, Verweigerung passt nicht in unser Jahrhundert. Man kann nicht protestieren, man muss ja noch rechtzeitig Karriere machen, ehe einen die anderen überholen.
All right now baby, it's all right now
Wut, Angst, Hass und Traurigkeit sind keine schönen Gefühle, aber es sind menschliche Gefühle. Sie können uns antreiben. Sie unterscheiden uns von Robotern und motivieren uns, etwas zu ändern.
Die Bloggerin Helen Buyniski hat schon seit einiger Zeit beobachtet, dass negative Gefühle in unserer Gesellschaft nicht gewollt sind. Man zeigt sie nicht, man hat sie nicht. Traurigkeit? Mehr als zwei Wochen Trauer nach dem Verlust eines Angehörigen? Da hat man aber schonmal in einer spontanen mündlichen Prüfung so kurz vor dem Abitur zu funktionieren. Und wehe dem nicht. Gegen die Traurigkeit gibt es ja schließlich auch Pillen. So kanns gehen, glaubt mir.
Wut ist ebenfalls ein Problem. Man muss sie im Zaum halten, bloß nicht fragen, wo sie her kommt. Das könnte unliebsame Antworten hervorrufen. Also verdrängt man die Wut.
In der besten aller möglichen Welten, in Quality Land, wie Marc Uwe Klingt so schön erzählt, gibt es keine negativen Emotionen, sie sind ausgerottet. Hier ist nämlich alles super und gemeinsam singen wir und fühlen uns leer und roboterhaft. Aber keine Sorge, dagegen gibt es Pillen.
Was aber bleibt vom Menschen, der keine Gefühle mehr hat? Der nicht mehr weinen und nicht mehr schreien darf - der vielleicht noch wahnsinnig lachen darf?
Wie in American Gods haben sich die Gottesbilder verändert, Odin, Bilquis, Mad Sweeney und Vulcan beispielsweise (genaugenommen nicht alle Götter, mehr Metaphern erschaffen aus alten Bräuchen und Kulten - oder banal: Ansichten) werden durch die neuen Götter ersetzt: Mr. World, Media, New Media und Technical Boy. Man könnte sowohl noch den Göttervater “Fortschritt” hinzufügen. Dabei ist Fortschritt nicht gleichzusetzen mit den Fortschritten der Gesellschaft als Ganzes, also nachhaltigen oder moralischen Fortschritten beispielsweise, sondern wohl eher mit der höheren Produktivität eines Einzelnen.
Der Mensch erschafft sich seine Götter eben aus dem Idealbild.
Wir sehen es vor allem in den sozialen Medien: Beständige Selbstoptimierung ist das Idealbild des heutigen Menschen.
Livin' on a prayer
Im Himmel mit falschen Göttern? Nein danke, da rocke ich lieber mit Vollgas den Highway to hell hinunter.
Machen wir uns nicht selbst zu Robotern? Wir sind belastbar, flexibel, stets einsatzbereit, leistungsfähig, niemals krank. Wir haben keine Leistungstiefs, denn wir haben keine Gefühle. Wir haben keine Musik - wir haben Techno. Und tanzen dazu wie Roboter. Monoton. Aber monoton ist langweilig und nicht menschlich.
Und wie gehen wir jetzt mit der Erkenntnis um?
Ganz viel guten alten Rock hören und verinnerlichen, was er uns sagen will:
Gib die Hoffnung nie auf.
Liebe, in jeglicher Hinsicht, ist es immer wert darum zu kämpfen.
Kämpfe ebenfalls für deine Träume, kämpfe für das Richtige.
Verfolge deine Leidenschaften und lebe das Leben.
Rock on!