Perfekt unperfekt - YOLO und so

Zugegeben, ich bin ein kleiner Perfektionist. Was ich mache soll vorzeigbar sein, ich will die 100% geben und auch 100% positives Feedback bekommen.

Damit bin ich nicht alleine. Gerade unter den anderen Studenten höre ich immer mehr, dass sie noch nicht mit ihrer Präsentation zufrieden sind, sie noch ein paar Nachtschichten schieben müssen, damit der Professor sie überragend findet. Es wird fünf Monate vor der Klausur angefangen zu lernen, um auch ja mit einer 1,0 zu bestehen. Ich fühle mich chaotisch, wenn ich drei Monate vorher anfange - und irgendwie dazu verpflichtet, schon jetzt Panikattacken zu bekommen. Sonst würde ich ja alles zu sehr auf die leichte Schulter nehmen, oder?

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Die nicht endende Schleife der Selbstoptimierung

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Besser, toller, perfekter - sieht man sich auf Instagram um, wird einem schnell klar, wir leben im Zeitalter der nie endenden Selbstoptimierung. Das ist super für die Firmen, der Markt boomt, aber was macht das mit eigentlich uns Menschen, in dessen Natur es doch liegt, nicht perfekt, also auch nicht langweilig zu sein?

Ich ertappe mich dabei, wie ich tatsächlich fast eine Panikattacke bekomme - und zwar als ich feststelle, dass ich in einer kleinen Perfektionsblase gefangen bin und mir bewusst wird, dass ich wahrscheinlich nie zufrieden bin, wenn ich kontinuierlich nach einer besseren Version von mir selbst strebe. Egal in welcher Hinsicht, ob im Studium, körperlicher Fitness, den vollsten Tagesplan, weil ich ja ach so Busy und wichtig bin und schließlich was aus meinem Leben machen will.

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Aus “Ich bin wie ich bin” wird heute “Ich bin, wer ich sein könnte.”

Doch, wer definiert eigentlich das “Etwas-aus-deinem-Leben-machen”? Heißer Tipp: Es ist nicht die Industrie, Social Media oder dein soziales Umfeld. Richtig: Das bist ganz allein du.

Gepackt von dieser Erkenntnis genieße ich einfach mal meine Sommerferien ohne Pläne, mit ganz viel Me-Time und dem, was ich in meinem Leben immer schon gerne gemacht habe, während des Studiums aber immer zu kurz gekommen ist: dem Schreiben. Ich schiebe mein Studium vorsichtig auf die Seite und stecke meine Kreativität in diesen Blog hier.

Nach einer neuen Leichtigkeit, die ich durch das Texten erfahre, wache ich jedoch eines morgens auf und stelle fest: Das sind mir kommendes Semester einfach ein paar Module zu viel, wenn ich meine Leichtigkeit beibehalten möchte. Ich sollte jetzt im September schon eine Klausur schreiben. “Eine Klausur in einem Fach schreiben, bei dem du in keiner Vorlesung warst? Bist du jetzt total vor die Pumpe geflitzt?” Perfect-Daisy haut energisch mit dem Staubwedel auf mich ein. Rebell-Daisy schnipst sie lässig weg, lässt eine Kaugummi-Blase platzen, zwinkert mir zu und meint “Zeig den Spießern mal wies auch geht.” Ich finde sie in ihrer coolen Lederjacke definitiv sympathischer, besorge mir “Die wichtigsten Wirtschaftsgesetze” und fange letztendlich zwei Wochen vor der Klausur an, mich durch den Dschungel an Verkehrssteuern und steuerlicher Gewinnermittlung zu schlagen. Ohne Ausrüstung.

Was solls!

Vielleicht sollte ich dazu sagen, dass Steuern nicht unbedingt mein Steckenpferd sind und ich mich auf einmal auf einer kleinen Achterbahnfahrt an verzweifelten Lachanfällen, Fuck-it-all-ich-schmeiß-alles-hin-Gedanken und Ach-ich-schaff-das-schon-Coffeedates befinde. Perfect-Daisy hat sich bereits mit ihren Staubwedeln im Bunker eingeschlossen und wartet das Desaster einfach ab. Mit ein paar Kontakten komme ich dennoch an ein paar Informationen, die mich zwar ein paar Prozent weiter nach vorne befördern, mich aber am Abend vor der Klausur nicht über die 50%, die ich nun vom erwarteten Lernstoff meine zu können, hinausbringen. Ich bin noch nie so unvorbereitet in eine Klausur gegangen und fühle mich cool und rebellisch und schimpfe gleichzeitig mit mir, warum ich nicht früher zu lernen angefangen habe oder das vorige Semester nicht einfach in die Vorlesung gegangen bin. Während die Klausur so vor mir liegt und ich die erste Aufgabe lese muss ich immer mal wieder leise kichern - manchmal aus Verzweiflung. Schizophren sind wie ja alle ein bisschen, richtig?

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Die Rebellin legt los - catching fire

Zwei Wochen später: Mein Ergebnis ist tatsächlich ganz gut, keine Ahnung warum, und ich fühl mich, als hätte ich soeben den Nobelpreis gewonnen. Rebell-Daisy fängt Feuer. Vor allen Dingen, als sie erfährt, dass die Präsentation ihres Blockseminars einfach auf den Tag nach der legendären Party fällt, auf die sich sie und ihre Freundin schon seit Wochen freuen. Was fällt denen ein? Ich lass mich doch jetzt davon nicht abhalten, einen legendären Abend zu haben. Und zwar mit allem drum und dran. Kein Verzicht!

Das Thema könnte wirklich einfacher sein, finden meine mir zugeteilte Partnerin und ich , während wir den Freitag Nachmittag unsere Ideen für die Präsentation zusammentragen und anfangen zu recherchieren. Ich gebe wirklich alles. Weil meine Freundin um 20 Uhr zu mir kommt und ich bis dahin alles fertig haben muss. Schließlich präsentieren wir Samstag um 10 Uhr morgens. Ich habe wirklich tiefgründige Einfälle, gerade als mir meine Freundin ein Glas Wein an den Schreibtisch bringt. Um 21:30 Uhr sende ich die Präsentation ab und wir Mädels stellen einstimmig fest: Wir müssen ordentlich was nachholen, um nicht zu nüchtern zum Vorglühen zu kommen! Motiviert und euphorisiert leeren wir in den nächsten zwei Stunden zwei Flaschen Wein, tun uns beim Vorglühen mit zwei Jungs zusammen haben zu viert die lustigsten Gespräche und Tanzeinlagen im Club. Wirklich. Egal, wie die Note morgen ausfällt, denke ich, dieser Abend hat sich auf jeden Fall gelohnt! Der Döner um halb 3 morgens muss an dieser Stelle auch dringend erwähnt werden!

Der Morgen danach

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Meine Einstellung der Note gegenüber weicht am nächsten Morgen nach vier Stunden Schlaf und dem einsetzenden Kater der Einstellung des Bestehens des Kurses. Ich ziehe tatsächlich in Erwägung wegen dem Blockseminar ein Semester länger zu studieren. Naja, für 2 Minuten. Dann setzt sich meine Kollegialität durch (ich kann meine Partnerin schließlich jetzt nicht alleine lassen) und ich schwinge mich aus dem Bett. Eine Ibu, einen Messiezopf und einmal Zähneputzen später (es ist nicht mal mehr Zeit für Mascara!) rase ich in die Uni. Der Restalkohol vibriert in meinen Adern und ich meine kurz, dass es mir besser geht. Dem war leider nicht so.

Wir gehen noch einmal die Präsentation durch und ich stelle fest: Was hab ich mir denn gestern bei den Stichpunkten gedacht? Ich stammel mir etwas von Krankenkassen, Pros und Contras von Zusatzbeitragen und wirren Diskussionen über die Thematik zusammen und fülle kurze Pausen gekonnt mit “Sorry, Blackout, kommt gleich wieder”. Meine Partnerin kann ihre Panik nicht verbergen und findet sich innerlich gerade mit einer schlechten Note ab. Das mag ihre innere Perfektionistin wahrscheinlich gar nicht. Meine schläft noch ihren Rausch aus. Komm schon, du bist ein Improvisationstalent, sage ich mir innerlich, definitiv zu verkatert, um Panik zu schieben.

“Herzlich Willkommen zu unserer Präsentation. Wir diskutieren heute mit euch heute die Zusatzbeiträge von gesetzlichen Krankenkassen.” Ich flutsche in meine Rolle wie Seife durch Hände und schaffe es tatsächlich zu performen. Mit der Note 1,3 sind wir neben einer anderen Präsentation von sechs insgesamt die besten! Ich kann selbst nicht rekonstruieren, was da eben passiert ist, da ich den Rest des Blockseminars mit meiner Übelkeit zu kämpfen habe, aber ich nehme mir vor, am Abend mit meinen Mitbewohnern auf meine geniale Leistung anzustoßen. Trotz Kater.

Was ich daraus lerne?

Wir sollten uns mehr trauen unperfekt zu sein! Vielleicht schaltet ihr für den Anfang auf 80% runter und nicht direkt auf 50% oder weniger, so wie ich. Ein wenig die Prioritäten neu ordnen erfrischt auch schon. Aber ein wenig YOLO, was solls, entspannt und lässt euch viele Dinge klarer sehen. Versprochen.

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Desiree Blasberg